DOCUMENTA KASSEL 16/06-23/09 2007

d5 1972


Die documenta 5 von 1972 gilt als bisher wichtigste Zäsur in der Geschichte der documenta, da erstmals das fortan für die Ausstellung gültige Modell des künstlerischen Leiters erprobt wurde. Als Antwort auf die zunehmenden Komplikationen der internen Organisationsstrukturen, wie sie in aller Schärfe während der documenta 4 zutage getreten waren, wurde Harald Szeemann, der bis 1969 Leiter der Berner Kunsthalle war und seitdem als freier Ausstellungsmacher arbeitete, zum alleinverantwortlichen „Generalsekretär“ bestimmt. Zugleich wurde das Prinzip der vorherigen documenta-Ausstellungen verlassen, Kunstwerke nach deren individuellem Qualitäts- oder Neuigkeitspotential auszuwählen, und ein thematischer Gesamtrahmen etabliert, innerhalb dessen einzelnen Werken ein eher belegstückhafter Charakter zugeschrieben wurde. Szeemann überschrieb seine d5 mit dem Titel “Befragung der Realität – Bildwelten heute“. Systematisch sollte das Verhältnis visueller Ausdrucksformen und der Wirklichkeit nachgezeichnet werden. Die Ausstellung bot zum besseren Verständnis der Bildwelten der Gegenwart an, den Besuchern eine Sehanleitung zu geben. In einer immer stärker auf die Vermittlung durch (Massen-) Medien angewiesenen Welt seien die Wiedergabe tatsächlicher Ereignisse auf der einen und die Inszenierung von Wirklichkeit auf der anderen Seite kaum noch unterscheidbar. Das Verhältnis von Bild und Wirklichkeit stand im Mittelpunkt der Ausstellung.

Das Konzept wurde zwar nicht in seinem enzyklopädischen Anspruch eingelöst, dennoch zeichnete sich die d5 durch eine enorme Bandbreite von Werken aus: Neben einer Vielzahl künstlerischer Positionen und Strömungen wurde der Betrachter mit unterschiedlichsten Parallelbereichen visueller Produktion wie z.B. Kitsch, Werbung, der politischen Ikonographie, religiös-volkskundlichen Bilderwelten, Science Fiction oder der „Bildnerei der Geisteskranken“ konfrontiert. Eine große Präsentation der Malerei und Skulptur des europäischen und amerikanischen Fotorealismus diente als Belegstück des Eindringens eines neuen Wirklichkeitsbezugs in die Kunst und wurde zu einem sensationellen Erfolg der documenta 5. Doch auch andere Formen des Wirklichkeitsbezugs fanden in Szeemanns Präsentation Raum. So waren Performance und Aktionen von großer Bedeutung, indem sie den Handlungsrahmen der Kunst im unmittelbar erfahrbaren Raum verorteten, und Joseph Beuys’ Beitrag zur d5, die Einrichtung eines Büros seiner „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung“ im Museum Fridericianum, in dem er 100 Tage lang mit den Besucherinnen und Besuchern diskutierte, verdeutlichte den Anspruch der Kunst, auch jenseits ästhetischer Kategorien einen Zugriff auf das öffentliche Leben einzuklagen.

Den aktuellen Trend der frühen 70er Jahre zu introvertierten, hermetischen Kunstaussagen fasste Szeemann unter dem Begriff „Individuelle Mythologien“ zusammen und präsentierte große, oft installative Werke, die den oft idiosynkratischen gedanklichen Kosmos der jeweiligen Künstler verdeutlichen sollten. So wurde der junge belgische Künstler Panamarenko mit seinem monumentalen Luftschiff „Aeromodeller“(1969-1971) präsentiert, das raumfüllend seine Obsession mit dem Traum vom Fliegen illustrierte.

Wie keine documenta zuvor polarisierte die d5 durch ihr umfassendes Konzept und den breiten zugrundegelegten Kunstbegriff Publikum und Fachwelt in Kritiker und begeisterte Befürworter.





 
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