DOCUMENTA KASSEL 16/06-23/09 2007

„Wir erwarteten uns auch Antworten, die nicht harmonisch sind.“ - Georg Schöllhammer im Interview

Georg Schöllhammer war verantwortlich für Konzeption und Leitung von documenta 12 magazines. Der 49-jährige Österreicher ist außerdem Chefredakteur der Zeitschrift Springerin. Hefte für Gegenwartskunst.


Herr Schöllhammer, wie kam es zu der Auswahl der Zeitschriften, Online-Magazine und weiteren Publikationen, die das Netzwerk von documenta 12 magazines bilden? Schließlich kommen Zielsetzungen und Leserschaft der verschiedenen Medien aus zum Teil sehr disparaten Kontexten.


Längst kann man in der Kunst und auch im Theorieraum, der die Kunst umgibt, nicht mehr von einem homogenen Raum sprechen. Wir haben uns daher auch in der Recherchephase des Projektes bemüht, diese Heterogenität ernst zu nehmen und uns intensiv mit ganz spezifischen Inhalten zu beschäftigen. Uns ging es darum, zu sehen, was denn im Moment im Denken über Kunst an ganz bestimmten Orten immanent produziert wird, um daraus dann schließen zu können, wo Schnittstellen sind, in denen ein lokaler Diskursraum in einem translokalen Resonanzraum produktiv werden könnte. Dabei haben wir nicht Vergleichbarkeit auf akademischer Ebene gesucht, sondern eher Parallelen der Herangehensweise und der Intensität der Vermittlungsarbeit gefunden. Wenn ich nach den Kriterien der Auswahl der Magazine in unserem Projekt gefragt werde, formuliere ich gerne negativ: Uns haben Magazine, die als Showcases für den Markt dienen, kaum interessiert. Wir haben uns zurückgehalten, mit Redaktionen zu arbeiten, denen es eher darum geht, Kunst in einen allgemeinen Diskurs über Lifestyle, Design, Mode u.s.w. einzubetten. Wir waren auch vorsichtig gegenüber der Akademie – die akademischen Journale sind immer auch einer gewissen Schließung der Argumente verpflichtet – und haben uns hier auf wenige beschränkt, meistens solche, die ein gewisses Feld überhaupt erst aufbereitet haben. Wenn ich das auf einen Punkt bringen müsste, könnte man das so beschreiben: Wir haben versucht, eine Arena für das Spezifische zu finden und dann eine Debatte der teilnehmenden Magazine anzustoßen.

Die drei Magazine sind den drei Leitmotiven der documenta 12 gewidmet – wie stellt sich für Sie diese Verbindung dar?

Die Leitmotive sind drei sehr generelle und offen formulierte Fragen. Die Anfangsidee des Magazin-Projektes war, dass man im kuratorischen Feld gewisse Fragen in den Raum stellt, die nicht direkt mit der Produktion und dem Ausstellen von Kunst – und der damit verbundenen Vermittlung – verknüpft sind, die aber die eigene Praxis in einer gewissen Weise reflektieren. Diese Fragen sollten im Magazinprojekt vor dem Hintergrund der jeweiligen Situation der Publikationen reflektiert werden – und natürlich sieht die Antwort auf die Frage nach dem „Uns“ in der Moderne in China anders aus als in Argentinien, in London anders als in Lagos. So wurden diese Leitmotive auch teilweise gegen sich selbst gewendet: Wir erwarteten uns auch Antworten, die nicht harmonisch sind, sondern wollten wissen, wo klare Konfliktlinien gegenüber den Fragestellungen aufbrechen. Das hat sich in die Ausstellung und in die Veranstaltungen, die wir dort hatten, fortgesetzt. Insofern haben sich die Leitfragen als produktiv erwiesen: Sie sollten ein Medium sein, entlang dessen sich ein Diskurs und eine Debatte strukturieren lässt.

Foto: Isabel Winarsch

Tatsächlich hat sich ja das teilnehmende Magazin Multitude mit „Multitudes-icônes“ (http://multitudes-icones.samizdat.net/ Anm. d. Red.) quasi buchstäblich gegen das Projekt gewendet!


Ich würde nicht sagen „gegen“ das Projekt, sondern „dagegen/dabei“ – eine Formel, die von uns ja auch in der Einladung, am Projekt teilzunehmen, intendiert war. Es ging nicht um die Homogenisierung eines Diskurses, sondern darum, ein Feld des offenen Konfliktes und offener Kontroversen zu öffnen. Ich bin froh, dass das geschehen ist, weil dadurch die inneren Widersprüche des Projektes nicht in der Kohärenz der Institution verschoben werden mussten, sondern diskutiert werden konnten. Aber das war eher die Ausnahme, als die Regel, auch wenn es kritische Stimmen in diese Richtung immer gegeben hat – was kein Wunder ist, weil die documenta eine mächtige Institution zu sein scheint! Und gerade so unabhängige Personen wie RedakteurInnen fühlen sich von einer Institution schnell instrumentalisiert. Wir haben versucht, mit diesen Problemen umzugehen – schließlich war das ja die Hauptskepsis im Vorfeld: Kritik direkt einzubinden und damit auch zu verpflichten. Retrospektiv muss man sagen, dass diese Angst schwach begründet war, dass ja auch wir instrumentalisiert wurden! Es war ein Prozess gegenseitiger Instrumentalisierung. Schließlich ist niemand gezwungen worden, daran teilzunehmen und jeder wusste, auf was er sich einlässt.

Beim Magazin-Projekt, mit den ihm vorangegangenen transregionalen Treffen und den Lunch Lectures in der documenta-Halle, drängt sich die Erinnerung an die Plattformen der Documenta11 sowie das diskursive Format der ‚100 Tage – 100 Gäste‘ der documenta X zwangsläufig auf – inwiefern waren diese Formate für die Entstehung des Projektes documenta 12 magazines von Bedeutung?

Es wäre doch dumm und ignorant, die Geschichte der Institution documenta zu ignorieren und alles neu zu erfinden zu wollen. Wir haben gewisse Motive aus der Geschichte mitgenommen: Catherine David hatte noch einmal über die Potenziale eines erweiterten Begriffs von Diskursivität nachgedacht, das schien uns ein wichtiger Anschlusspunkt. Okwui Enwezor hatte die documenta dezentralisiert und die Wahrnehmung in Richtung einer spektralisierten Kunstwelt geöffnet, die sich nicht mehr über eine Art von Zentrumsperipherie-Logik lesen lässt.
Doch wir sind anders vorgegangen. Wir haben versucht, unsere Fragen offener zu stellen und unser Projekt anders dezentralisiert. In den kleinen Akademien – welche die Redaktionen von kritischen Magazinen oft sind – sollte ein unabhängiger Diskurs entstehen, um Fragen zu provozieren. Unsere Intention war wirklich, dezentral zu arbeiten und dadurch andere als die kanonisierten Lesarten der Geschichte der Gegenwartskunst zu ermöglichen.
Ein Teil der Kritik, den die Ausstellung auf sich zieht ist ja, dass das Marginale ins Zentrum rücke – eine schöne Kritik! Es ist ja nicht das Marginale, wenn man es von den jeweiligen Zentren aus, in denen das ‚Marginale‘ lebt, betrachtet.

Foto: Isabel Winarsch

Dabei fällt mir die Debatte um groß angelegte Ausstellungen auf, die hier anlässlich der Lunch Lecture über kuratorische Methoden zwischen Pablo Lafuente, Lisette Lagnado und Victor Misiano stattgefunden hat. Dort wurde der Frage der problematischen Positionierung heutiger Großausstellungen nachgegangen - und der Kritik an der documenta …


Natürlich ist man sich immer im Klaren, in welchem Verhältnis man zu den realen Möglichkeiten eines solchen Formates steht und welchen repräsentationspolitischen Hindernissen man dann zur Verwirklichung der Möglichkeiten entgegentritt. Es gibt einen institutionellen Ruf, der gerade mit der documenta einhergeht. Was ich an dieser Diskussion, die sie erwähnen, so schön fand, war die Aussage: Was man mit einer documenta immer nur machen kann, ist etwas Bestimmtes aufzureißen – was dann vielleicht in kleineren Institutionen durchgearbeitet, in längeren Zyklen abgearbeitet werden kann.

Rückblickend ist vielleicht das Spezifische an documenta 12 magazines die Vermischung unterschiedlicher Genres und Formate der Vermittlung und der Präsentation, vom Print bis hin zur Online-Plattform des Journals.  Welche Bilanz ziehen Sie aus dieser Erfahrung? Und welche Bedeutung hat dabei die dialogische Funktion der documenta-Halle?


Ich denke, dass dieses Format sehr gut aufgegangen ist. So schön ,100 Tage, 100 Gäste‘ funktionierte, uns ging es nicht darum, das Wissen der Welt in einem Veranstaltungsformat vorzuführen. documenta 12 magazines war ein Redaktionsprojekt, in dem Aufmerksamkeitsräume geschaffen wurden, die zwar spezifisch sind, sich aber auch aus dem Arbeitsraum öffnen. Räume, die über die documenta hinaus offen zu bleiben scheinen. Viele Beziehungen und Netzwerke sind in diesem Projekt entstanden, die schon jetzt nachhaltig über künftige Kooperationen und Institutionen verhandeln, Bücher mit Übersetzungen von AutorInnen, die nie vorher übersetzt waren, Debatten zwischen vorher entfernten Welten. Das ist mehr, als wir erwarten durften.


Um die bekannte Frage des Kunstkritikers Jens Hoffmann neu zu paraphrasieren: Should the next documenta be curated by an editor?

Nein! [lacht] Immer von einem Kurator mit einem guten Team, einer Kuratorin, einem Kurator und einer Kuratorin, einer Kuratorin, einem Kurator, wie Sie wollen: aber immer in enger Kooperation mit einem guten Team!

Herr Schöllhammer, vielen Dank für dieses Gespräch!


Das Gespräch führte Elena Zanichelli.









 
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