
Lunch Lecture Review: Schmutzig und Stinkend
Diskutanten: Ulrich Schötker (documenta 12 Vermittlung), Catrin Seefranz (Pressesprecherin) und Michael Wilhelm (documenta 12 Vermittlung).
Moderation: Carmen Mörsch (documenta 12 Vermittlung, Begleitforschung)
Bei den meisten Lesern wird die Kindheit schon eine Weile zurückliegen. Die Erinnerungen an diese unschuldige Zeit bleiben aber abrufbare Episoden. Mal mehr und mal weniger klar, mal schön und mal schmerzhaft. Geprägt durch eine Erziehung, die proklamierte, was gut oder böse, hübsch oder hässlich oder schmutzig und stinkend ist, betrachten wir die Welt und ordnen jene Dinge, die wir vorher beurteilt haben. Dass innerhalb dieses Prozesses Konflikte entstehen, ist vorprogrammiert. Was aber wenn das, was wir sehen, verschreckend oder verstörend ist? In welche Schublade dies einordnen? Und was tun, wenn man als Eltern für seine Schützlinge mitdenken muss: Scheuklappen aufsetzen oder mittendurch?
schmutzig und stinkend hat sich diesen Fragen gestellt und versucht, eine Form des offenen Umgangs mit „verschreckender“ Kunst zu finden. schmutzig und stinkend ist ein Sonderformat von aushecken für Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren, dessen inhaltliche Konzeption in der Lunch Lecture vorgestellt und diskutiert wurde.
Carmen Mörsch von der documenta 12 Kunstvermittlung hat die Diskussion zwischen Publikum und den beiden Initiatoren des Projekts, Michael Wilhelm und Ulrich Schötker, moderiert. Catrin Seefranz, Pressesprecherin der documenta 12, beschrieb die Genese des in der Folge heiß diskutierten Projekts schmutzig und stinkend. Sie verwies unter anderem auf das schon weit vor der Eröffnung bei dem Videoportal YouTube herunterladbare Video Lovely Andrea der documenta 12 Künstlerin Hito Steyerl, das in der Folge die medialen Gemüter erregte.
Moderation: Carmen Mörsch (documenta 12 Vermittlung, Begleitforschung)
Bei den meisten Lesern wird die Kindheit schon eine Weile zurückliegen. Die Erinnerungen an diese unschuldige Zeit bleiben aber abrufbare Episoden. Mal mehr und mal weniger klar, mal schön und mal schmerzhaft. Geprägt durch eine Erziehung, die proklamierte, was gut oder böse, hübsch oder hässlich oder schmutzig und stinkend ist, betrachten wir die Welt und ordnen jene Dinge, die wir vorher beurteilt haben. Dass innerhalb dieses Prozesses Konflikte entstehen, ist vorprogrammiert. Was aber wenn das, was wir sehen, verschreckend oder verstörend ist? In welche Schublade dies einordnen? Und was tun, wenn man als Eltern für seine Schützlinge mitdenken muss: Scheuklappen aufsetzen oder mittendurch?
schmutzig und stinkend hat sich diesen Fragen gestellt und versucht, eine Form des offenen Umgangs mit „verschreckender“ Kunst zu finden. schmutzig und stinkend ist ein Sonderformat von aushecken für Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren, dessen inhaltliche Konzeption in der Lunch Lecture vorgestellt und diskutiert wurde.
Carmen Mörsch von der documenta 12 Kunstvermittlung hat die Diskussion zwischen Publikum und den beiden Initiatoren des Projekts, Michael Wilhelm und Ulrich Schötker, moderiert. Catrin Seefranz, Pressesprecherin der documenta 12, beschrieb die Genese des in der Folge heiß diskutierten Projekts schmutzig und stinkend. Sie verwies unter anderem auf das schon weit vor der Eröffnung bei dem Videoportal YouTube herunterladbare Video Lovely Andrea der documenta 12 Künstlerin Hito Steyerl, das in der Folge die medialen Gemüter erregte.
![]() |
Mit Juan Davila, der mit großformatigen Bildern unter anderem in der documenta-Halle oder im Friedericianum zu sehen ist, ist jener Fokus gefunden, der die (mediale) Rezeption polarisierend prägt. Davilas Bilder zeugen von explizit dargestellter Sexualität, von Gewalt, von Hässlichem. Wie solle man diese Kunst seinen Kindern erklären? Und so forderte die HNA (Lokalzeitung Kassel), gar ein Sorgentelefon. „Was kann ich machen“, fragte sich Ulrich Schötker, Leiter der Vermittlung, als ihn die Bedenken der Öffentlichkeit persönlich erreichten. „Die Sorge der Großen um Pornografie und Missbrauch darf in einer öffentlichen Ausstellung aber nicht zur Zensur für die Kleinen werden.“ Unter dieser Prämisse entwickelten Ulrich Schötker und Michael Wilhelm in kürzester Zeit gemeinsam das Format schmutzig und stinkend.
Drei Stunden umfasst das Projekt in der aktuell ausgearbeiteten Form. Drei Stunden in denen die Jugendlichen schocken und sich schämen können - und sollen. „Überlebensnotwendige Reaktionen“ nennt Schötker diese Fähigkeiten, deren Auslebung eine Grundbedingung, eine Basis für den offenen Umgang mit Sexualität ist. „Eigentlich wollen wir die Jugendlichen zu Experten machen“, führt er weiter aus und zeigt Bilder des ersten schmutzig und stinkend-Workshops. Kinder sollen benennen können, so Wilhelm und sich selber ein Selbstbewusstsein erarbeiten, das vor Übergriffen schützt. Wie differenziert der Umgang der jungen Besucher mit den viel kritisierten Bildern der prominenten Künstler war, erzählt Schötker. Ein Junge merkte zum Beispiel an, dass es doch einen Unterschied mache, ob ein nackter Frauenkörper von einem Mann oder einer Frau gemalt werde. Oder aber welche Biografie Juan Davila mitbringe, die die Entstehung von Bildern wie The lamentation: a votive painting maßgeblich beeinflusse.
Wichtig sei es gewesen, den Jugendlichen einen identifizierenden wie auch differenzierenden Umgang mit den Objekten zu ermöglichen, so Schötker. Nach dem Rundgang ging es deshalb wieder zurück zur Nachbereitung zum Ausgangspunkt ins Heckenkabinett.
Drei Stunden umfasst das Projekt in der aktuell ausgearbeiteten Form. Drei Stunden in denen die Jugendlichen schocken und sich schämen können - und sollen. „Überlebensnotwendige Reaktionen“ nennt Schötker diese Fähigkeiten, deren Auslebung eine Grundbedingung, eine Basis für den offenen Umgang mit Sexualität ist. „Eigentlich wollen wir die Jugendlichen zu Experten machen“, führt er weiter aus und zeigt Bilder des ersten schmutzig und stinkend-Workshops. Kinder sollen benennen können, so Wilhelm und sich selber ein Selbstbewusstsein erarbeiten, das vor Übergriffen schützt. Wie differenziert der Umgang der jungen Besucher mit den viel kritisierten Bildern der prominenten Künstler war, erzählt Schötker. Ein Junge merkte zum Beispiel an, dass es doch einen Unterschied mache, ob ein nackter Frauenkörper von einem Mann oder einer Frau gemalt werde. Oder aber welche Biografie Juan Davila mitbringe, die die Entstehung von Bildern wie The lamentation: a votive painting maßgeblich beeinflusse.
Wichtig sei es gewesen, den Jugendlichen einen identifizierenden wie auch differenzierenden Umgang mit den Objekten zu ermöglichen, so Schötker. Nach dem Rundgang ging es deshalb wieder zurück zur Nachbereitung zum Ausgangspunkt ins Heckenkabinett.
![]() |
Carmen Mörsch schloss die Ausführungen der beiden Vermittler mit ihrer Lesart von schmutzig und stinkend und bezog sich dabei vor allem auf die österreichische Theoretikerin Johanna Schaffer. Zentral in Schaffers Argumentation, so Mörsch, sei die Idee der Ermächtigung, der Stärkung des Kindes. Und dies gelänge nur, wenn man Kunst wie die von Davila oder Lee Lozano den Kindern nicht vorenthalte, sondern sie mit ihrer Realität konfrontiere. Dies bedeute aber auch, dass die Erwachsenen sich mit dem Thema ebenso offensiv auseinandersetzen müssten.
Die Inszenierung von Körperlichkeit und Begehren trägt in sich die Ambiguität von Faszination und Abkehr. Der Umgang damit setzt die Forderung nach Offenheit voraus, welche sich letztendlich in Räumen von Möglichkeiten und Gelegenheiten ausbreiten kann. Welche Rolle die Vermittlung in diesen Räumen einnimmt ist für Mörsch eindeutig: Nur mit Professionalität kann man Bedürfnisse sehen und adäquat darauf reagieren.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde teilweise hitzig debattiert, ob der Titel der Veranstaltung angemessen sei oder Kinder sich nicht einer Manipulation aussetzen würden, angesichts der projizierten Fotos, die Kinder zeigten, die unbeschwert mit der Thematik Sexualität umgingen. Eine Besucherin merkte an, dass sich die öffentliche Kritik vor allem auf die explizit sichtbare Sexualität gerichtet habe, weniger auf die als viel verstörender geltende, weil subtilere Videoarbeit von Tseng Yu-Chin. Szenenapplaus gab es für diesen Beitrag, der auf die Doppelmoral der medialen Maschinerie anspielte.
Interessierte Eltern können ihre Kinder am 11. August und am 22. September beim Workshop ausprobieren lassen und schauen, ob schmutzig und stinkend tatsächlich „iih und bäh“ ist. Oder ob sich mit unschuldiger Offenheit eine ganz neue Ordnung der Dinge etablieren lässt.
Silke Kachtik
Die Inszenierung von Körperlichkeit und Begehren trägt in sich die Ambiguität von Faszination und Abkehr. Der Umgang damit setzt die Forderung nach Offenheit voraus, welche sich letztendlich in Räumen von Möglichkeiten und Gelegenheiten ausbreiten kann. Welche Rolle die Vermittlung in diesen Räumen einnimmt ist für Mörsch eindeutig: Nur mit Professionalität kann man Bedürfnisse sehen und adäquat darauf reagieren.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde teilweise hitzig debattiert, ob der Titel der Veranstaltung angemessen sei oder Kinder sich nicht einer Manipulation aussetzen würden, angesichts der projizierten Fotos, die Kinder zeigten, die unbeschwert mit der Thematik Sexualität umgingen. Eine Besucherin merkte an, dass sich die öffentliche Kritik vor allem auf die explizit sichtbare Sexualität gerichtet habe, weniger auf die als viel verstörender geltende, weil subtilere Videoarbeit von Tseng Yu-Chin. Szenenapplaus gab es für diesen Beitrag, der auf die Doppelmoral der medialen Maschinerie anspielte.
Interessierte Eltern können ihre Kinder am 11. August und am 22. September beim Workshop ausprobieren lassen und schauen, ob schmutzig und stinkend tatsächlich „iih und bäh“ ist. Oder ob sich mit unschuldiger Offenheit eine ganz neue Ordnung der Dinge etablieren lässt.
Silke Kachtik
ERROR: Content Element type "page_php_content_pi1" has no rendering definition!