DOCUMENTA KASSEL 16/06-23/09 2007

Review: Shared, Mobile, Improvised, Underground, Hidden, Floating

5. Juli, 13:00 Uhr, documenta 12 Halle

Foto: Julia Zimmermann, © Julia Zimmermann

Auf dem Podium in der documenta-Halle saßen mindestens 15 internationale Gäste in einer langen Reihe. Unter ihnen war Clémentine Deliss, Herausgeberin von Metronome, die ihre Co-RedakteurInnen und AutorInnen der letzten beiden Ausgaben mitgebracht hatte. Die eine dünne Ausgabe, Metronome No. 10, entstand zusammen mit Oscar Tourzon auf einer Schreibmaschine in der Abgeschiedenheit von Oregon, der dicke gelbe Band mit vielen Beteiligten in Tokio, darunter eine Tokioter Expertenkommission für zukünftige Fakultäten und Formen der Wissensproduktion, die hier in Kassel konkret als „Faculty of car polishing“ auftreten. Deliss versteht ihr Medium als Blaupause, als „wanderndes Organ“. In den letzten zehn Jahren hat sie in verschiedenen Städten und in unterschiedlichen Konstellationen produziert, dabei immer die Produktionsbedingungen thematisiert und von Ausgabe zu Ausgabe variiert. Die zwei erwähnten Ausgaben entstanden unter dem Label „Future Academy“, seit 2002 reisendes Forschungslabor von Metronome. Wie der Name schon andeutet, geht es um das Experimentieren mit anderen, offeneren Lernformen und Unterrichtssituationen, um eine Auseinandersetzung mit der post-fordistischen Universität, den Austausch mit internationalen Kunst-Colleges. Aus dem einen Magazin wurde ein als Glossar angelegter Ratgeber für ÜberlebenskünstlerInnen, entstanden in den Wäldern von Oregon, das andere ist ein Reader gesammelter Gespräche und Beiträge. Oscar Tourzon, Mitherausgeber der Ausgabe No. 10, reflektiert über die Ökonomie des Kunstsystems, fragt, wie eine unabhängige, autarke Gemeinschaft aussehen könnte und hält die Lebensweise von „Bert and Holly“ dagegen, die im Jahr von 300 Dollar leben – „this is the rigorous, death-affirming choice one has to make to be free“. Während Tourzon spricht, packt eine Japanerin in rotem Cape Picknickgeschirr aus rotem Plastik aus, verteilt es an die Gäste und das Publikum, sitzt und liegt auf der Bühne. Die maschinengeschriebene Ausgabe bezeichnet Tourzon als „primitiven Blog“: Es ist ein Glossar aus gesammelten Statements von TeilnehmerInnen der „Future Academy“. Es ist wie ein Ratgeber der DIY-Industrie, der erklärt, wie man trocken bleibt, wie nahrhaft Sonnenblumenkerne sind und wie man einsam lebt. Nach einer „Werbepause“ – sie verkaufen das dünne Metronome für einen Euro im Publikum – stellt der griechische Architekt die zentralen Fragen der „Future Academy“: Wie wollen wir uns bilden? Viele Menschen geben viel Geld für ihre Bildung aus, die „Future Academy“ ist günstiger, agiert als Parasit der Universitäten.
Deliss betont, es gehe ihr beim Erarbeiten der Ausgaben um die soziale Umgebung, eine enge Zusammenarbeit, um eine „konzeptuelle Intimität“, wie sie es nennt. Was bedeutet es, wenn Leute versuchen, ihre Erfahrungen zu formalisieren? Ihr geht es darum, die Bedingungen immer zu hinterfragen. Funktioniert Metronome noch? Ist es noch effektiv? Oder nur noch ein Repräsentationsmedium? Dabei orientiert sie sich an dem, was der britische Anthropologe und Kybernetiker Gregory Bateson als „Metalog“ etabliert hat, nämlich das Beobachten der Umstände und Strukturen, die jede Kommunikation und deren Verlauf beeinflussen. Metaloge haben Potenzial, Lernprozesse zu verändern.
Für diese theoretischen Überlegungen hat die Gruppe eine formale Entsprechung für die Lunch Lecture gefunden: Die stillen Aktionen der Japanerin zwischen Publikum und Podium deuten auf die Konventionen solcher Veranstaltungen, indem sie ihren Zwischenraum belebt.

TeilnehmerInnen waren: Clémentine Deliss, Christos Papoulias, Thomas Boutoux, Oscar Tuazon, Takayuki Yamamoto, Kim Bang, Naohiro Deguchi, Kaori Matsumoto, Steven Mykietyn, Nico Dockx, Jan Mast, Stephanie Snyder, Johannes Raether, Pablo Herrera D. Veitia, April Mellor, Ella Barclay, Toku Matsubuchi, Naohiro Deguchi.



zurück







 
OK

Es handelt sich um eine historische Website. Hier erhalten Sie jeweils Details zum Impressum, Datenschutz und weitere Informationen.